Splitter
Rote Augäpfel kratzen in den Augenhöhlen, seit der Türke in meinem Zimmer, nachdem ich eingeschlafen war, die Fester geschlossen und die Klimaanlage angestellt hat. Nie wieder geh ich vor den anderen schlafen.
Die Saunatherapie zwischen Charkiv und Poltava heilte das eine Auge, das ukrainische Bier das zweite.
Auf den Bahnhofsstiegen ist es etwas kühler als in der Halle, und die Zuganzeige ist ohnehin ausgefallen. Ein Mädchen kommt herunter geschritten und blickt suchend in die Menge. Ich hätte sie für 14 gehalten, aber hier sehen die Jugendlichen jünger aus. Da hat sie ihr Ziel entdeckt und springt nun mit Stelzsprüngen im Zickzack durch die Menge und fällt ihren Eltern um den Hals. Später meine ich sie mit ihrem Freund eng umschlungen in der Nähe stehen.
Mir gegenüber saß eine Frau etwa meines Alters, wie alle Ukrainer nicht begeistert von meinem Dasein. Wir hatten die Schmalsitze entlang des Durchgangs, den kriegen Singles, während Familien in den offenen Kojen kampieren. Die schlanke Frau hatte ein schwarzes Spitzenkleid und bekam immer wieder Besuch von einer kleinen alten Dame mit Bürstenhaarschnitt. Immer wieder blickten sie zu mir her und lachten.
Die Frau saß in Fahrtrichtung, ich dagegen. So hatte ich, wenn ich mich zum Tischchen wendete, die Notbremse im Rücken, und wenn ich mich zum Gang wendete, den Haltegriff. Man lernt, so zu sitzen. Auch drei Stunden.
Dann wurde es dunkel, und die Fahrgäste wurden emsig und packten die Leintücher aus den Plastiksäcken. Ich sah alte Frauen behende auf die Liege hinaufklettern und junge ungeschickt heruntertasten. Die Männer schliefen mit angezogenen Beinen in Babystellung. Frauenfüße mit in allen Farben lackierten Nägeln hingen in den Gang hinein aus allen Liegehöhen.
Als mein Gegenüber ihre Schlafstatt herzurichten begann, musste ich meinen Rucksack herunternehmen und klemmte ihn mir zwischen die Beine. Nun stieg sie auf die Sitzflächen und streifte mit dem Saum ihres Kleides meine Oberschenkel. Schließlich war sie so weit und begann das Kunststück, sich hinaufzuarbeiten, ohne ihr Kleid zu lüften. Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen.
Wie angekündigt kam ich an der richtigen Adresse an, und als ich auf die beschriftete Tür zuschritt, öffnete sie sich, und ein nettes Wesen nannte meinen Namen und empfing mich. Sie führte mich die Stiegen hinauf und zeigte mir die kleine Wohnung mit Stockbettenzimmer, einer Küche und einem verglasten Balkon. Soetwas habe ich noch nicht erlebt. Hier war Bügel- und Trockenraum, hing eine Holzschaukel vor dem Fenster und lagen Sandsäcke, auf denen ich gerade Serhij Zhadan gelesen und laut gelacht habe. Ich nannte das Wesen mit den winzigsten Pants und den schlanken Schultern Lovely Rita, obwohl sie Christina heißt.
Rita oder Christina arbeitet die halbe Woche hier, erzählt sie mir. Die anderen Tage jobbt sie im Supermarkt. Ein Job ist zuwenig zum Leben. Sie hat eine sechzehnjährige Tochter, die jetzt bei ihrem Vater in Moskau ist. Und sie arbeitet tatsächlich, wie ich das noch in keinem Host gesehen habe. Von Morgen bis Abend putzt und wäscht sie, jetzt um halb zehn bügelt sie Leintücher. Morgen wird sie das mit meinen tun. Sie hat es sehr bedauert, dass ich nur so kurz bleibe.
Ein Blick eines Mädchens im Park. Verzückt, verzaubert, voll Hoffnung und Hingabe. Ich habe soetwas nur in alten Filmen gesehen oder in Hörspielen von Bachmann oder Horwarth gehört. Dort wird der Himmelsblick immer enttäuscht und zerbrochen durch die Erde.
Ich steuere auf eine Parkbank zu, doch drei Jungs überholen mich und knallen sich hin. Ich setze mich dazu und höre ihre Handymusik, ihr Gelächter und atme ihren Zigarettenrauch. Es ist wie bei uns.
Ein kleines Mädchen posiert vor Papas Handykamera, schwingt das Tanzbein und balanciert mit den ausgestreckten Armen. Als Papa genug hat, verzieht sie sich ins Heckenlabyrinth.
Die Saunatherapie zwischen Charkiv und Poltava heilte das eine Auge, das ukrainische Bier das zweite.
Auf den Bahnhofsstiegen ist es etwas kühler als in der Halle, und die Zuganzeige ist ohnehin ausgefallen. Ein Mädchen kommt herunter geschritten und blickt suchend in die Menge. Ich hätte sie für 14 gehalten, aber hier sehen die Jugendlichen jünger aus. Da hat sie ihr Ziel entdeckt und springt nun mit Stelzsprüngen im Zickzack durch die Menge und fällt ihren Eltern um den Hals. Später meine ich sie mit ihrem Freund eng umschlungen in der Nähe stehen.
Mir gegenüber saß eine Frau etwa meines Alters, wie alle Ukrainer nicht begeistert von meinem Dasein. Wir hatten die Schmalsitze entlang des Durchgangs, den kriegen Singles, während Familien in den offenen Kojen kampieren. Die schlanke Frau hatte ein schwarzes Spitzenkleid und bekam immer wieder Besuch von einer kleinen alten Dame mit Bürstenhaarschnitt. Immer wieder blickten sie zu mir her und lachten.
Die Frau saß in Fahrtrichtung, ich dagegen. So hatte ich, wenn ich mich zum Tischchen wendete, die Notbremse im Rücken, und wenn ich mich zum Gang wendete, den Haltegriff. Man lernt, so zu sitzen. Auch drei Stunden.
Dann wurde es dunkel, und die Fahrgäste wurden emsig und packten die Leintücher aus den Plastiksäcken. Ich sah alte Frauen behende auf die Liege hinaufklettern und junge ungeschickt heruntertasten. Die Männer schliefen mit angezogenen Beinen in Babystellung. Frauenfüße mit in allen Farben lackierten Nägeln hingen in den Gang hinein aus allen Liegehöhen.
Als mein Gegenüber ihre Schlafstatt herzurichten begann, musste ich meinen Rucksack herunternehmen und klemmte ihn mir zwischen die Beine. Nun stieg sie auf die Sitzflächen und streifte mit dem Saum ihres Kleides meine Oberschenkel. Schließlich war sie so weit und begann das Kunststück, sich hinaufzuarbeiten, ohne ihr Kleid zu lüften. Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen.
Wie angekündigt kam ich an der richtigen Adresse an, und als ich auf die beschriftete Tür zuschritt, öffnete sie sich, und ein nettes Wesen nannte meinen Namen und empfing mich. Sie führte mich die Stiegen hinauf und zeigte mir die kleine Wohnung mit Stockbettenzimmer, einer Küche und einem verglasten Balkon. Soetwas habe ich noch nicht erlebt. Hier war Bügel- und Trockenraum, hing eine Holzschaukel vor dem Fenster und lagen Sandsäcke, auf denen ich gerade Serhij Zhadan gelesen und laut gelacht habe. Ich nannte das Wesen mit den winzigsten Pants und den schlanken Schultern Lovely Rita, obwohl sie Christina heißt.
Rita oder Christina arbeitet die halbe Woche hier, erzählt sie mir. Die anderen Tage jobbt sie im Supermarkt. Ein Job ist zuwenig zum Leben. Sie hat eine sechzehnjährige Tochter, die jetzt bei ihrem Vater in Moskau ist. Und sie arbeitet tatsächlich, wie ich das noch in keinem Host gesehen habe. Von Morgen bis Abend putzt und wäscht sie, jetzt um halb zehn bügelt sie Leintücher. Morgen wird sie das mit meinen tun. Sie hat es sehr bedauert, dass ich nur so kurz bleibe.
Ein Blick eines Mädchens im Park. Verzückt, verzaubert, voll Hoffnung und Hingabe. Ich habe soetwas nur in alten Filmen gesehen oder in Hörspielen von Bachmann oder Horwarth gehört. Dort wird der Himmelsblick immer enttäuscht und zerbrochen durch die Erde.
Ich steuere auf eine Parkbank zu, doch drei Jungs überholen mich und knallen sich hin. Ich setze mich dazu und höre ihre Handymusik, ihr Gelächter und atme ihren Zigarettenrauch. Es ist wie bei uns.
Ein kleines Mädchen posiert vor Papas Handykamera, schwingt das Tanzbein und balanciert mit den ausgestreckten Armen. Als Papa genug hat, verzieht sie sich ins Heckenlabyrinth.
weichensteller - 14. Aug, 20:41