steppe und schwarzes meer : Rubrik:charkiv
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2017-08-17T15:39:50Z
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2000-01-01T00:00:00Z
steppe und schwarzes meer
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Was ist mit dem Mond?
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Auch auf den Mond ist kein Verlass.<br />
Dottergelb tanzte er zwischen den Wäldern am Horizont<br />
in seiner abnehmenden Phase, <br />
als der Zug auf Charkiv zuschlingerte.<br />
Bahnfahren in der Ukraine ist wie Sauna in Jeans und T-Shirt. <br />
Seitlich neben mir saß ein Mutter-Sohn-Paar.<br />
Die Mutter sah japanisch aus<br />
und hatte Arme, dünn wie Birkenästchen.<br />
Der Sohn war auch dünn und bestimmt zwanzig.<br />
Die beiden sprachen während der ganzen fünf Stunden<br />
konzentriert und aufmerksam miteinander. <br />
(Die eine Stunde, die ich eingedöst bin,<br />
war es gewiss nicht anders.)<br />
Man kann das nicht Unterhaltung nennen.<br />
Das sah aus wie große Fragen stellen,<br />
wie Beichten oder gemeinsam Nachdenken.<br />
Sie sahen sich in die Augen wie Verliebte,<br />
forschend und nachdenklich<br />
und ohne Grinsen.<br />
Ja, man kann der Sprache zusehen.<br />
Damals war der Mond etwa zur Hälfte beleuchtet<br />
und tauchte immer wieder hinter den Hügeln unter.<br />
Ich war im zweiten Saal von<br />
Oksana Sabuschkos<br />
Museum der vergessenen Geheimnisse<br />
und tastete mich durch das Interview<br />
mit Wladislawa Matusewytsch<br />
und den Inhalt einer Damenhandtasche.<br />
Es ging darum, Erinnerungen nachzuverfolgen,<br />
die nachträglich eine besondere Bedeutung erlangen.<br />
Die Lutheraner - das steht nirgendwo bei Sabuschko -<br />
nennen übrigens Kirche eine Erinnerungsgemeinschaft.<br />
Und die orthodoxe Kirche sieht ihr Rückrat<br />
in der unveränderten Treue zum Ursprung.<br />
Als der Zug schließlich in den Bahnhof von Charkiv einrollte<br />
und ich mich von den Mitreisenden verabschiedete,<br />
die am nächsten Morgen in Moskau sein würden<br />
und mich durch den Wagon schob,<br />
der aussah wie ein Krankenhaussaal:<br />
Kinder, Männer und Frauen halbnackt<br />
auf weißen Leintüchern -<br />
da stand der Mond bereits über den<br />
Fabrikschloten und war immer noch<br />
breit und gelb.<br />
Ich hatte die Karte von Charkiv<br />
ungefähr im Kopf<br />
und hätte eine von zwei Straßenbahnlinien nehmen können.<br />
Aber ich wollte mit der Abendluft,<br />
dem Klang und dem Tempo bekannt werden<br />
und nicht wie ein Dieb in die Stadt einfallen.<br />
Im Nachhinein hat mich mein Gedächtnis nicht betrogen.<br />
Wo ich hätte innehalten müssen,<br />
fand ich den Namen der Straße nicht<br />
und ging einfach weiter. <br />
Die Brücke über den Kanal machte mich stutzig.<br />
Ich suchte nach Auskunftspersonen<br />
und fand schließlich einen Deutschen vor dem Mac. Donalds.<br />
Als ich wieder beim Wasser war<br />
und im finsteren Park mit Pärchen und Musik<br />
und bunten Lichtern,<br />
ist die angebliche Brücke immer weiter fortgerückt.<br />
Stattdessen regnete der Himmel Sterne,<br />
und niemand von den Nachtschwärmern hat es bemerkt.<br />
Sie sind herabgeregnet als Segen<br />
für meine Kranken zu Hause.<br />
Für sie habe ich diese Nacht bestanden -<br />
auch wenn ich das erst später begriff.<br />
Aber der Mond hatte die Farbe behalten <br />
und den Umfang noch vergrößert,<br />
sodass er bereits fast wieder voll war.<br />
Schließlich arbeitete ich mich die<br />
Kontorska von der falschen Seite wieder hoch<br />
mit meinem vollen Gepäck<br />
und passierte all die Häuser der Unterstadt am Fluss<br />
in langen Schattenlöchern,<br />
die Höfe und Gärten, Fabriken und Ruinen,<br />
von denen ich bei Serhi Zhadan gelesen habe,<br />
und bald verfolgten mich kläffend und wütend die Hunde,<br />
die in der finsteren Ruine auf mich gewartet haben.<br />
Um Mitternacht stand ich dann vor dem Eingang <br />
des Hostel Sputnik, wo ich angemeldet war.<br />
Doch es gab kein Türschild und keine Klingel.<br />
Als ich schließlich Hilfe bekam von einem Inder, <br />
der mich aus dem Fenster gesehen hatte im Nachbarhaus,<br />
und von seinen Freunden,<br />
da hat der Mond nichts dazu getan. <br />
Er versteckte sich im Schatten<br />
und hatte sich noch weiter aufgeplustert<br />
und tat wie der Vollmond, obwohl das nicht an der Zeit war.<br />
<br />
Charkiv habe ich bei Tag auch so gesehen wie bei Zhadan in<br />
Mesopotamien:<br />
zwischen den Flüssen.<br />
Zwischen der reichen, repräsentativen Oberstadt<br />
und den Niederungen am Fluss.<br />
Zwischen dem geregelten eindeutigen Leben<br />
und dem Unabsehbaren, das uns bezwingt.<br />
Ich fragte den Hotelmanager<br />
nach seinem Literaturinteresse.<br />
Immerhin leben in seiner Stadt etliche internationale Schriftsteller.<br />
Ich möchte mir so ein Buch kaufen, sagte er.<br />
Ein Macbook.<br />
<br />
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Was wird aus den Priestern
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Was wird aus den Priestern ?<br />
Wie Vieh weiden sie ihre Gemeinden,<br />
treiben sie auf smaragdgrüne Weiden, sehen zu,<br />
wie sie behäbig im Flussschlick lagern<br />
und die Junisonne fliehen.<br />
Sie folgen ihren Gemeinden, verjagen sie aus fremdem<br />
Korn, führen sie heim, dahin, wo<br />
am Abend die Feuer auf den Höfen entzündet werden.<br />
Schlafen auf Säcken und Büchern, lauschen auf den Atem der Tiere im Schlaf<br />
und träumen von den Gesichtern der Frauen, die gekommen sind,<br />
die intimsten Sünden zu beichten,<br />
sich Rat zu holen und auf Vergebung zu warten.<br />
Was kann er dir raten ?<br />
Sein Leben lang weidet er das Echo<br />
und sucht nach Weidegründen und Schlafplätzen unterm schwarzen Himmel.<br />
Du kannst mit ihm singen, kannst<br />
neben ihm schlafen, einen Soldatenmantel als Decke,<br />
kannst deine nasse Kleidung ans Feuer hängen,<br />
im Fluss deine Hemden waschen,<br />
die er in der Kirche aufspannt wie Grabtücher.<br />
Was wird aus den Atheisten ?<br />
Sie sagen eigentlich glaube ich, ich glaube an alles, was<br />
gesagt ist, aber nie und nimmer, unter keinen Umständen, keinesfalls werde ich mich dazu bekennen, denn das ist meine Sache,<br />
sie geht nur mich etwas an. Und wenn er mir hundert Mal<br />
böse ist, mir droht, sich ärgert und abwendet an seinem Kreuz da,<br />
was will er ohne mich ? Was macht er allein ?<br />
Er muss um meine Gegenwart kämpfen,<br />
um meine Rettung ringen,<br />
mit meinen Zweifeln, meinem Wankelmut,<br />
meiner Offenheit rechnen.<br />
Was wird aus dir ? Du kannst mit uns singen,<br />
in unseren Kreis kommen, uns die Hand auf die Schulterlegen :<br />
wir sind eins im Glauben,<br />
eins in der Liebe,<br />
eins in der Einsamkeit,<br />
eins in der Enttäuschung.<br />
<br />
Auszug aus: Serhij Zhadan. Mesopotamien.<br />
<br />
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<br />
Ein paar Eindrücke zum Gebet der Menschen und ihrer Beziehung zu den Priestern, <br />
aus dem vor wenigen Jahren völlig neu errichteten Michaelskloster, von dem aus die Russen 988 hinunter in den Dnipro gestiegen sind, um sich taufen zu lassen:<br />
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